Christoph Wagner
Francis Berrar. Eine Nacht im kahlen Gebirge. Malerei und Zeichnung
Eröffnungsvortrag, 5. September 2007
K4 galerie, Saarbrücken
Lieber Francis Berrar, lieber Werner Deller,
liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und Herren,
In den letzten 10 Jahren hat es nicht an Prognosen gefehlt, die das Ende der Malerei vorhersagten. Neue Medien, Konzeptkunst, Video, Film, Fotografie sollten – so eine verbreitete Diagnose – die Malerei wohl bald endgültig ablösen, ja ›erledigen‹. Die Kunst hätte sich – mit Hegel gesprochen – zur Philosophie gewandelt, zur theoretischen Gedankenspekulation. Eine Kunst, in der es weniger zu sehen, als zu Denken gibt. Das Ende des Bildes, das Ende der Malerei, ja das Ende der Kunst waren die Prophezeiungen für ein neues Zeitalter der ›Kunst jenseits der Kunst‹. Stattdessen erleben wir in den letzten Jahren eine vitale und veritable Renaissance der Malerei. Dieses Erlebnis der Wiedergeburt der Malerei haben Sie auch heute Abend in dieser Ausstellung der neuen Arbeiten von Francis Berrar vor Augen. Inzwischen werden seine Werke auch in öffentlichen Sammlungen von Dresden über Stuttgart bis München gesammelt.
Allen multimedialen Verheißungen zum Trotz beginnen die Künstler, darunter auch Francis Berrar, das › gemalte Bild‹ als experimentelles Medium neu zu definieren. Diese Künstler schreiben nicht etwa die Geschichte eines voreilig totgesagten Leinwandbildes fort. Vielmehr erkunden sie auf neue Weise die Malerei als einen lebendigen Ort der Wirklichkeitserfahrung und der künstlerischen Recherche: Wirklichkeitswahrnehmung und Kunst sind dabei – wie ich Ihnen mit einigen Hinweisen zeigen möchte – aufeinander bezogen. Malend meditiert Francis Berrar über das gemalte Bild als reflexive Form. Dadurch entsteht Malerei, die das Thema der Malerei selbst aufruft, eine Metamalerei, die sich nicht im l’art pour l’art, nicht in Selbstbezüglichkeit erschöpft. Gerade die Erkenntnis, dass ›das Medium nicht schon die Botschaft ist‹, hat die Malerei vor einer Redundanz bewahrt, an der die photographischen und elektronischen Medien heute nicht selten leiden. Ja es wird deutlich, dass diese neuen Medien vielfach von den wahrnehmungsgeschichtlichen Errungenschaften und Bildvorstellungen aus der langen Geschichte des gemalten Bildes zehren. Die Malerei hat sich in ihrer Bindung an die leiblichen Bedingungen des Menschen und an die Materialität der Farbe nie den medialen Bedingungen eines zunehmend technisierten Zeitalters unterworfen.
In seinen jüngeren Bildern hat Francis Berrar die mediale Konkurrenz zu den Bildern im Internet in neuer Form gesucht und produktiv in seiner Malerei umgesetzt: Die sich öffnenden und einander überlagernden Rahmenbildungen, » frames«, wie sie der – inzwischen selbst schon historischen – visuellen Organisation des Internets entnommen sind, tauchen als leitmotivische Strukturelemente auf: Diese »frames« bilden zeichnerische Verdichtungen, in denen plötzlich leuchtschriftartig Begriffe aufscheinen können. Sie treten kontrapunktisch zu den farbig delikaten Farbflächen auf und vervielfachen das Rahmenmotiv des Bildes, bis zum Punkt seiner Auflösung. Die Grenzen des Bildes werden dem Bild selbst echoartig eingeblendet: Der Rahmen wird gleichsam ins Spielfeld der Malerei zurückgeführt und damit entmachtet. Das Bild als begrenztes Werk löst sich auf diesem Weg auf: Schrift und Farbraum wachsen über die Bildgrenzen hinaus. Francis Berrar gestaltet im Horizont des offenen Bildbegriffs der Non-Relational Art, wie er sich in der amerikanischen Malerei ausgebildet hat.
Virtuelle Bildräume öffnen sich, wie die Bedeutung des Räumlichen insgesamt in den jüngeren Bildern Berrars zunimmt. Das können Sie vor allem an den Arbeiten im oberen Raum studieren. Leuchtschriftartige Schriftzüge wie »watersports«, »darkside«, »slave«, »zone«»still « usf. treten auf, sprengen den Rahmen des Bildes. Diese Fundstücke aus der Welt der Werbung, der Massenwaren und des Internets schließen sich nicht zu einer fest chiffrierten symbolischen Bedeutung zusammen, sondern gehen in den malerische Prozess und in den Assoziationsprozess des Betrachters ein: Diese Chiffren hat Francis Berrar mit seiner abstrakten Malerei bedrängt, überlagert, überschrieben und partiell auch gelöscht: Gelegentlich stehen elementare Materialtexturen aus farbigen Lack- und Acrylflächen gegen die Gitterstrukturen der sich überlagernden Rechtecke der »frames«. Diaphane Farbflächen und malerische Fragmente schaffen Erinnerungsstrukturen. Assoziationsräume werden durch die Strukturen und Begriffe geöffnet und malerisch aufgeladen. Die Bilder der aseptisch immateriellen Welt der digitalen Bilder werden in der Farbmaterie greifbar.
Francis Berrars Bilder führen den Betrachter gewissermaßen in ein »no go area« der Malerei, so der Titel eines Bildes, das Sie hier sehen können. Im Spannungsfeld zwischen Planimetrie und Raumfiktion entstehen im malerischen Prozess Spielräume für neue Wahrnehmungen. Francis Berrar versucht mit seiner abstrakten Malerei ästhetisch zu heilen, was das Auge im Netz eines lärmenden Informationsoverkills im steten horror vacui der visuellen Zeichen und Bilder verletzt. Das ist ein emphatischer, ja romantischer Anspruch, dem auch der Titel der Ausstellung »Eine Nacht im kahlen Gebirge« Ausdruck verleiht. Wieviel intensive, gelegentlich existentielle Wirklichkeitserfahrung Francis Berrar in diese Abstraktion seiner Bilder eingearbeitet hat, soll hier nur angedeutet werden: Schauen Sie sich im Nachbarraum die 26 Blätter aus dem in den letzten Monaten entstandenen, eindrucksvollen Zeichnungszyklus an, in dem das Stichwort »Io bimbo, tu mamma« wiederkehrt. Auf diese Zeilen ist Berrar, wie er mir erzählt hat, auf dem Rückweg von der Biennale in Venedig auf italienischen Werbeplakaten gestoßen. Die Internetrecherche zeigt, dass diese Worte aus einer Kampagne zur Kinderadoption und zugleich zur Werbung für Kinderspielartikel stammen. Intuitiv wird hier eine für Berrar zentrale Existenterfahrung in abstrakte Malerei verwandelt.
Andere Bilder heißen »Posing«, wie auch das große Bild im K4 forum am St. Johanner Markt. Die mit einer Schablone vervielfältigten Strukturen erinnern Sie vielleicht zunächst an baumartige Wachstumsprozesse über farbigem Grund. Zugleich aber können diese abstrakten Figurationen auch auf das Thema der menschlichen Gestalt, wie es in Berrars Werk über Jahre leitmotivisch wiederkehrt, bezogen werden. Derzeit können Sie hierzu zum Beispiel in der Stadtgalerie eine aus Haaren geformte frühe Aktstudie Berrars von 1983 sehen.
In der künstlerischen Auseinandersetzung mit seiner Lebenswelt, die sich nicht mehr zu einem geschlossenen Bild zusammenfügen lässt, stößt Berrar auf ein Feld visueller Bruchstücke, die von den Aufdrucken auf der Milchtüte auf dem Frühstückstisch bis zu den Fernsehbildern reichen. Der Mimesisanspruch der Kunst ist angesichts der Polyperspektivität dieser Lebenswelt zerbrochen. Und doch versucht Francis Berrar diesen Zustand mit seiner Malerei mit kühlromantischer Emphase zu heilen: Indem er zu den elementaren Grundlagen, ja zu den Anfängen der Malerei zurückkehrt. Farbschichten schimmern durch die flächigen Farbgründe partiell hindurch, bilden subkutane Erinnerungsschichten, Sedimentierungen. Malend bringt 30 Francis Berrar die Anfänge der Malerei hervor. Programmatischer könnte man die Erneuerung des gemalten Bildes auf der Ebene seiner kritischen Reflexion nicht vollziehen. Dieser anschauliche Prozess ist gedanklich wie anschaulich vom Betrachter nachzuvollziehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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